Waldorf wagt sich mit dem Protein Synthesizer an eine Neuinterpretation der Wavetable-DNA – und musotalk bringt uns die entscheidenden Antworten direkt vom Chefentwickler. In einer Podcast-Runde voller Nerd-Talk, ironischer Seitenhiebe und technischer Tiefenbohrungen entfaltet sich das Patch-Origami zwischen klassischer Microwave-Architektur und modernen Performance-Features. Wer wissen will, wie sich musikalische Fehler in musikalische Würze verwandeln und warum Drift plötzlich ein Feature ist, sollte sich diesen Maschinenraum nicht entgehen lassen. Für Klangarchitekten, Chaosästheten und alle, die ihre Sounds lieber in Layern als in Schubladen denken.

28. November 2025
RAUMKLANG
Waldorf Protein: Klangarchitektur im Taschenformat – musotalk im Gespräch mit Rolf Wöhrmann
Waldorf Iridium, Waldorf Microwave 1, Waldorf Protein, Waldorf Quantum
Wavetable-Origami: Protein zwischen Tradition und Moderne
Der Waldorf Protein Synthesizer präsentiert sich als kompaktes Klanglabor, das klassische Wavetable-Technologie mit aktuellen Produktionsanforderungen verschmilzt. Musotalk eröffnet die Runde mit einer Mischung aus ironischer Distanz und ehrlicher Begeisterung: Hier steht nicht einfach ein weiterer Klon, sondern ein Instrument, das sich bewusst zwischen den Welten positioniert. Die ersten Klangbeispiele zeigen bereits, dass sich der Sound wie ein Origami aus Spannung und Rauschen entfaltet – obertonreich, bassstark und mit einer Prise digitaler Schärfe.
Im Zentrum steht die Frage, wie weit man mit einem solchen Gerät heute im Studio- und Live-Alltag kommt. Die Podcast-Runde, angeführt von musotalk und Waldorf-Chefentwickler Rolf Wöhrmann, arbeitet heraus, dass der Protein nicht nur für Puristen, sondern auch für Performance-orientierte Sounddesigner gebaut wurde. Die Bedienung bleibt direkt, die Klangpalette erstaunlich breit. Wer auf Workflow-Fetischismus hofft, wird hier nicht glücklich – aber für Chaosästheten und Klangarchitekten öffnet sich ein neuer Maschinenraum.
Microwave-DNA reloaded: Modulation und Effekte als Patch-Geometrie
Die Entwicklung des Protein basiert auf der rekonstruierten Architektur des legendären Microwave 1, allerdings ohne den originalen ASIC-Chip. Stattdessen wurde dessen Verhalten bitgenau in Software nachgebildet – eine Maschinenethik, die auf Präzision und musikalische Imperfektion zugleich setzt. Rolf Wöhrmann erklärt, dass die beiden Wavetable-Oszillatoren exakt nach dem Vorbild des Microwave arbeiten, während Filter und Hüllkurven sich weiterentwickelt haben. Besonders die Modulationsmatrix mit acht Slots, drei vollwertigen Hüllkurven und modernen LFOs hebt den Protein deutlich von seinen historischen Vorbildern ab.
Effekte sind keine bloße Dreingabe, sondern integraler Bestandteil der Klangarchitektur: Zwei Effekt-Slots, gespeist aus dem Iridium-Katalog, erlauben eine breite Palette von Modulation, Delay, Reverb und Sättigung. Chordfunktion, Arpeggiator und Step-Sequencer runden das Paket ab. Die Bedienoberfläche bleibt trotz der Komplexität übersichtlich, auch wenn sich unter der Haube mehr als 150 Parameter verbergen. Wer tiefer einsteigen will, muss sich auf verschachtelte Patch-Geometrien und den einen oder anderen Kompromiss bei der Direktzugänglichkeit einlassen – Geduld und ein Ohr für das Unvorhersehbare sind hier Pflicht.

"Wir haben das alles gemessen und mit Logic-Analysern überprüft. Da kommt wirklich genau das raus, was aus dem Chip rauskommt."
© Screenshot/Zitat: Musotalk (YouTube)
Layer-Magie und Multitimbralität: Ein Werkzeug für Live-Architekten

"Ist also sehr flugtauglich. Und als emotional support, wie so ein Hund, hat man halt immer einen Stinti dabei."
© Screenshot/Zitat: Musotalk (YouTube)
Der Protein bietet eine Layer- und Multitimbral-Architektur, die ihn besonders für komplexe Live-Performances prädestiniert. Bis zu vier Layer können parallel geladen und entweder gestapelt, gesplittet oder im Round-Robin-Verfahren abwechselnd gespielt werden. Das eröffnet nicht nur im Studio, sondern gerade auf der Bühne neue Klangräume: Akkorde mit unterschiedlichen Voices, schnelle Layer-Umschaltungen und flexible MIDI-Splits sind mit wenigen Handgriffen möglich. Die Polyphonie von acht Stimmen mag auf dem Papier bescheiden wirken, doch durch die Layer-Logik und die clevere Verteilung der Stimmen entsteht ein flexibles Setup, das sich auch in Handgepäckgröße behauptet.
Im Podcast wird deutlich, dass diese Multitimbralität nicht nur ein technisches Gimmick, sondern ein echtes Performance-Feature ist. Wer Flugshows in Malta oder spontane Setups auf engstem Raum meistern will, findet im Protein einen verlässlichen Begleiter. Die Einschränkung auf einen Stereo-Ausgang und USB-MIDI ohne Audio-Interface wird offen angesprochen – hier zeigt sich die Maschinenethik: Konzentration auf das Wesentliche, statt Feature-Overkill. Für Live-Spieler und Klangtüftler ein Werkzeug, das sich nahtlos in unterschiedlichste Setups einfügt.
Flavor-Parameter: Mikrovariation als musikalische Würze
Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Protein ist der „Flavor“-Parameter, der subtile Mikrovariationen und Drift in die Klangerzeugung einbringt. Inspiriert von den Eigenheiten der alten Microwave-Architektur, simuliert dieser Regler die leichten Treppchen und Unschärfen, die durch limitierte Prozessorleistung und ungenaue Timing-Algorithmen entstanden. Rolf Wöhrmann erläutert, wie diese musikalischen „Fehler“ gezielt nachgebaut und sogar über das Original hinaus dosierbar gemacht wurden. Wer den Flavor-Regler aufdreht, erhält eine lebendige, organische Klangstruktur – mathematisch nicht korrekt, aber musikalisch umso reizvoller.
Diese Form der Humanisierung ist mehr als bloßes Zufallsrauschen: Sie folgt den Mustern und Eigenheiten der historischen Vorbilder und bringt so einen Hauch von elektronischer Musikgeschichte ins Jetzt. Gerade bei Sequenzen oder wiederholten Noten wird der Unterschied spürbar – der Sound bleibt frisch, das Ohr wird nicht müde. Wer wissen will, wie sich musikalische Imperfektion als kreative Ressource nutzen lässt, sollte sich die Klangbeispiele im Video nicht entgehen lassen. Hier zeigt sich, dass Maschinenethik und Human Touch keine Gegensätze sein müssen.

"Es bringt nochmal so einen extra Gewürz rein, sage ich mal so. Das haben wir nachgebaut, auch im Protein."
© Screenshot/Zitat: Musotalk (YouTube)
Updates, Zukunft und die nächste Patch-Generation

"Gibt es das noch nicht, aber er wird auch Updates bekommen, auch Feature Updates bekommen."
© Screenshot/Zitat: Musotalk (YouTube)
Rolf Wöhrmann gibt zum Abschluss einen Ausblick auf die künftige Entwicklung der Waldorf-Serie. Der Protein ist kein isoliertes Produkt, sondern Auftakt einer neuen Gerätefamilie im kompakten Format. Updates mit neuen Features sind fest eingeplant, ebenso wie die Möglichkeit, Editoren oder eigene Wavetables nachzureichen. Die Preisgestaltung bleibt dabei bewusst niedrigschwellig, ohne an der Maschinenethik zu sparen. Wer also auf die nächste Generation von Patch-Geometrien und Klangräumen hofft, darf gespannt bleiben – die Waldorf-Werkstatt bleibt in Bewegung.


